(Foto: Krause)

Nach zweieinhalb Jahren Renovierungszeit in der Werkstatt Ahrend in Leer wurde am 20. Oktober 2024 in der vollbesetzten St. Severi Kirche die Gloger-Orgel wieder eingeweiht.

Lesen Sie dazu auch den ausführlichen Bericht auf der Seite des Kirchenkreises: Hier

Gemeinsam mit Superintendentin Kerstin Tiemann und Regionalbischof Hans-Christian Brandy sowie Kreiskantor Kai Rudl an der Orgel (und mit seinem Posaunenchor und seinem Kirchenchor) gestaltete Pastor Thorsten Niehus den Festgottesdienst.

In seiner Predigt ging er auch auf den Otterndorfer Orgelstreit aus dem 17. Jahrhundert ein:

Liebe Gemeinde, ich möchte Sie einladen, in Gedanken in das Otterndorf des Jahres 1662 zu reisen. Es sind noch 80 Jahre, bis
Dietrich-Christoph Gloger seine Orgel der Gemeinde übergibt. Nach Orgelbauten von Matthias Mahn aus Buxtehude und Antonius Wilde, einem Otterndorfer Orgelbaumeister, der auch die Grundlage für die Schnitger-Orgel in Lüdingworth gelegt hat, feiert die Gemeinde 1662 die Wiedereinweihung der Otterndorfer Orgel. Vorangegangen sind gründliche Erweiterungen durch den Hamburger Orgelbaumeister Hans Riege. Neben vielen Gästen ist auch der Orgelrevisor und bekannte Komponist Heinrich Scheidemann anwesend, um die Otterndorfer Orgel abzunehmen. Scheidemann berichtet beim Besuch von der wachsenden Popularität der Thesen von Professor Großgebauer aus Rostock. Großgebauer will aus Glaubensgründen das Orgelspiel auf die
einfache Begleitung des Gemeindegesangs begrenzen. Künstlerisches Orgelspiel würde die Gemeinde vom Glauben an Jesus
Christus ablenken und die Gläubigen auf die Rolle passiver Zuhörer beschränken.
In ganz Deutschland werden die Gedanken Großgebauers mit viel Sympathie in der evangelischen Kirche diskutiert. Der Otterndorfer Pastor Hector Mithobius stellt sich aber in einem grundlegenden Werk von über 400 Seiten der Behauptung entgegen, dass Orgelmusik den Glauben behindern würde. Anhand der Geschichte von David, der Saul mit seinem Harfenspiel tröstet und seelisch erbaut, findet er die biblische Begründung dafür, dass Orgelmusik, der Predigt gleichgestellt, der Verkündigung des Evangeliums dient.
Mithobius Gedanken verbreiten sich und finden viel Anklang bei den Gläubigen. Sie dienen den Kirchengemeinden und Orgelbauern wie Arp Schnitger als gedankliche Grundlage für die Entstehung ganzer barocker Orgellandschaften in Deutschland. So öffnet die Schrift des Otterndorfer Pastors Hector Mithobius der lutherischen Orgelkultur bis hin zu Diederich Buxtehude und Johann Sebastian Bach die Möglichkeit, sich zu entfalten.
Otterndorf als die Geburtsstätte lutherischer Orgelkultur ist eine heute wenig beachtete Tatsache. Doch nicht nur das Lokalkolorit, sondern besonders die Konzentration Mithobius’ auf den biblisch begründeten Glauben an Jesus Christus ist ein Erbe, das wir in glaubensschwacher Zeit, gerade auch in Sachen Orgelkultur, pflegen sollten.
Es vergehen keine 80 Jahre nach der Einweihung der Riege-Orgel und dem Streit zwischen Großgebauer und Mithobius, als sich die
Otterndorfer Kirchengemeinde auf den Weg macht, die Orgel durch Dietrich Christoph Gloger zur größten Barockorgel zwischen Elbe und Weser umbauen zu lassen. Es entsteht ein Werk, das die norddeutsche, besonders durch Arp Schnitger beförderte, Orgelbaukunst mit der Süddeutschen von Matthias Dropa beeinflussten Tradition zu einem einzigartigen Instrument verbindet. Gleichzeitig wird die St. Severi-Kirche innerhalb von zwei Jahren, man höre und staune über das Tempo, grundlegend umgebaut und erhält ihre heutige Form.
Dass ausgerechnet in Otterndorf unsere in Größe und Bedeutung herausragende Gloger-Orgel entsteht, lässt sich auch, aber nicht nur, damit erklären, dass Otterndorf im 17. und 18. Jahrhundert ein wohlhabender Umschlagplatz zwischen Hamburg und der Nordsee war.
Ich vermute, dass auch der Otterndorfer Orgelstreit eine Rolle gespielt hat. Das klare Bekenntnis, dass die Orgel der Verkündigung von Jesus Christus dient und ihre Musik in seinem Namen Liebe, Glaube und Hoffnung verbreiten. Dass die Orgel eben mehr ist als ein Instrument menschlicher Kulturpflege.
Otterndorf hat im beginnenden 18. Jahrhundert mit drei großen Naturkatastrophen zu kämpfen. Seit 1712 wütet die Pest im Land
Hadeln, durch die viele Menschen ihr Leben verlieren. 1713 fallen bei einem Stadtbrand viele Otterndorfer Häuser den Flammen zum Opfer. Und im Jahr 1717 brechen während der Weihnachtsflut in der ganzen Deutschen Bucht die Deiche und sorgen für ungezählte Opfer. Auch die St. Severi-Kirche, immerhin 6,5 Meter über dem Meeresspiegel gelegen, wird in Mitleidenschaft gezogen. Der Wiederaufbau in Hadeln und umzu dauert 25 Jahre, bis in Kehdingen die letzte Deichlücke geschlossen wird.
Reichtum und Orgeltradition haben vielleicht etwas geholfen, ausgerechnet in dieser schweren Zeit die Otterndorfer Gloger-Orgel
entstehen zu lassen. Doch der Glaube der Menschen, der erfahrene Trost und der Wunsch, Gott mit einem außerordentlichen Instrument außerordentlich für seine Rettung aus den Naturkatastrophen zu loben, sind wohl die stärkste Triebfeder für den damaligen Orgelbau.

Ich empfinde es als ein Wunder biblischen Ausmaßes, eine Mischung aus menschlichem Engagement und Gottes Hilfe, dass der Orgelbau durch Dietrich Christoph Gloger in dieser Zeit gelungen ist. Besonders im 20. Jahrhundert hat die Otterndorfer Orgel schwer gelitten. Während der Weltkriege wurden die großen Prospektpfeifen herausgerissen, um aus dem darin enthaltenden Zinn Munition herzustellen. Statt aus Zinn wurden später aus Zink, dem Material, das der Herstellung von Dachrinnen dient, billige Ersatzpfeifen erstellt. Umbauten in den 30er und unsachgemäße Überarbeitungen in den 70er Jahren haben dazu geführt, dass die Gloger-Orgel zu Beginn des 21. Jahrhunderts in so schlechtem Zustand war, dass es ernsthafte Gedanken gab, sie aus Kostengründen durch eine elektronische Orgel oder einen anderen Neubau zu ersetzen.

Doch der Kirchenvorstand beschließt 2011 einstimmig, die Gloger-Orgel für damals geplante 1,6 Mio. € restaurieren zu lassen und das Geld dafür einzuwerben zu wollen.
Nicht nur die Medien, wie in unserer Festschrift nachzulesen, sondern auch die Öffentlichkeit im Land Hadeln war damals äußerst kritisch. „Das klappt doch nie“, sagten die einen. „So viel Geld. Was könnte man damit nicht alles an kirchlicher Arbeit finanzieren“, argumentierten andere.
Die gepflegte Streitkultur war eine Begleiterin, die in den vergangenen 12 Jahren nach und nach verstummt ist. Aus der Kirchenorgel wurde im öffentlichen Gespräch die Gloger-Orgel und dann „Unsere Gloger-Orgel“. Immer mehr Menschen identifizierten sich mit dem Vorhaben, die Glogerin zu retten. Die Kirchengemeinde und der Orgelverein haben sich, je länger, desto besser in ihren unterschiedlichen Aufgaben aufeinander abgestimmt. Doch der Amtsschimmel und die wachsende Ungeduld, dass es allein bis zur Voruntersuchung der Statik der Orgelempore 5 Jahre des eindringlichen Bemühens gedauert hat, waren unser ebenso treuer wie wenig geschätzter Begleiter auf dem Weg zur Restaurierung. Damals, in der Zeit zwischen dem Otterndorfer Orgelstreit und der Einweihung der Gloger-Orgel waren es Pest, Stadtbrand und die Weihnachtsflut, die das Leben der Hadler Bevölkerung durcheinandergewirbelt und die Entstehung der neuen Orgel erschwert haben. In den Jahren der Restaurierung und der dazugehörigen Kirchensanierung haben es Corona, Inflation, Bürokratie und Fachkräftemangel bis zum Schluss spannend gemacht, ob und wann wir die Gloger-Orgel wieder in der St. Severi-Kirche hören.

Bei allem großartigen Engagement vieler Menschen: Es ist für mich ein Wunder Gottes, dass wir heute die Wiedereinweihung der Gloger-Orgel feiern können. Ein Wunder, das 80 Jahre vor der Entstehung der Gloger-Orgel mit dem Otterndorfer Orgelstreit begonnen hat. Aus dieser Zeit hören wir gleich von Heinrich Scheidemann, dem damaligen Orgelrevisor, die Echo-Toccata in G-Dur. Sie möge uns Herz und Seele erfreuen. Und unseren Glauben stärken.
Gegen allen Augenschein. Trotz vieler Krisen und Unwägbarkeiten: Wir haben guten Grund, gerade heute Gottes Treue zu feiern. Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle menschliche Vernunft
bewahre Eure Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.